Als ich heute die Februar-Ausgabe der SoVD Zeitung (SoVD = Sozialverband Deutschland e.V.) aus dem Briefkasten nahm, fiel mir gleich die Schlagzeile
"Hartz IV erbarmungslos oder: die verordnete Obdachlosigkeit" ins Auge.
Die Evangelische Obdachlosenhilfe e.V. (EvO) vergibt alle 2 Jahre ihren Pokal "Verbogener Paragraf" an Sozialleistungsträger mit kritikwürdiger Rechtsvollzugspraxis.
Im November 2008 erhielt die ARGE (Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Arbeitslosengeld II-Empfänger) Greifswald diese unrühmliche Auszeichnung.
Was war geschehen?
Die ARGE Greifswald hatte einem 53-jährigen über Monate die Leistungen versagt, weil er die geforderten schriftlichen Bewerbungen nicht erbrachte. Die Folge waren Mietrückstände, die Kündigung des Mietverhältnisses und schließlich die Zwangsräumung seitens der
städtischen Verwaltungsgesellschaft. Somit landete der Mann auf der Straße.
Daß der Mann Analphabet ist, also gar nicht in der Lage ist den Forderungen hinsichtlich der schriftlichen Bewerbungen nach zu kommen, hat die ARGE offensichtlich nicht interessiert.
Die Verleihung der "Auszeichnung" hat die ARGE Greifswald offensichtlich auch mit "behördlicher Ignoranz" hingenommen, denn eine Entschuldigung für ihre Vorgehensweise, die einen Arbeitssuchenden zum Obdachlosen machte, hat es bisher nicht gegeben.
Wenn in diesem Land von einem Sozialstaat gesprochen wird, dann sollten sich doch seine Behörden und deren Tätigkeit auch diesem Begriff unterordnen - oder ist das zu viel verlangt.
Vor einigen Tagen stieß ich auf die Broschüre "
Wer nicht spurt, kriegt kein Geld - Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende -Erfahrungen, Analysen, Schlußfolgerungen" der Berliner Kampagne gegen Hartz IV.
(PDF)Die darin aufgezeigten Fallbeispiele belegen, daß dieser "Wahnsinn offensichtlich Metode" ist.
Nehmen wir nur das Beispiel der alleinerzeihenden Mutter, die neben ALG II noch eine Nebentätigkeit aufnehmen musste, um einigermaßen über die Runden zu kommen. In der mit ihr abgeschlossenen Wiedereingliederungsvereinbarung bestand die ARGE auf Beibehaltung der Nebentätigkeit, wohlwissend, dass es sich dabei um Prostitution handelte.
Mir scheint, in den ARGEn liegt so manches im Argen.
Gegen den (ARGE)Leitsatz "Fordern und Fördern" ist ja im Prinzip nichts einzuwenden. Nur sind hier aus meiner Sicht die Prämissen vertauscht. Fördern (auch im Sinne von Helfen und Unterstützen) sollte den Vorrang haben.
Strafe und Sanktionen (in Form von drastischen Leistungskürzungen) sind nun wahrlich die ungeeignetsten Mittel um zu motivieren. Im Gegenteil, sie schaffen Angst und Resignation.
Ob die gängige Sanktionspraxis der ARGEn mit der Menschenwürde und der Sozialstaatlichkeit (Art.1 und 20 GG) vereinbar sind wage ich hier stark anzuzweifeln. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat schon 1954 in einer Entscheidung festgestellt:
„Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. (…) Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen (Art. 1) verbietet es, ihn lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns zu betrachten, soweit es sich um die Sicherung des "notwendigen Lebensbedarfs" (…), also seines Daseins überhaupt, handelt. (…) Mit dem Gedanken des demokratischen Staates (Art. 20) wäre es unvereinbar, daß zahlreiche Bürger, die als Wähler die Staatsgewalt mitgestalten, ihr gleichzeitig hinsichtlich ihrer Existenz ohne eigenes Recht gegenüberständen.“ (BVerwGE 1/ 161 f)Doch offensichtlich ist dem heutigen Staat - den "Volksvertretern" und den ausführenden "Staatsdienern" - der Untertan und Duckmäuser wesentlich lieber als der freie und mündige Bürger.